Der Markt für Wohnraum in Ballungszentren ist völlig außer Kontrolle geraten, sowohl für Mieter als auch für Käufer. Ballungszentren erleben nach wie vor großen Zuzug, denn dort sind die attraktiven Jobs und es ist volkswirtschaftlich wichtig, diese qualitativ gut zu besetzen. Führende Firmen sind Konjunkturtreiber und unverzichtbar für eine Industrienation. Der Zuzug ist meist schlichtweg notwendig.
Die große Nachfrage nach Wohnraum treibt die Preise nach oben. Normalerweise würde das zusätzliche Anbieter auf den Plan rufen, die das Angebot erhöhen, wodurch die Preise wieder sinken würden. Grund und Boden sind aber nicht beliebig vermehrbar, weshalb der Markt nicht funktioniert. Die Preise gehen immer weiter nach oben. Junge Familien finden kaum mehr bezahlbare Wohnungen, private Vorsorge ist deshalb nicht möglich, alles ist auf Kante genäht - "können wir uns ein drittes Kind leisten?"
Das Recht auf Wohnen ist ein Grundrecht seit 1919 in Deutschland und seit 1966 in Europa. Dabei geht es nicht nur um das ob, sondern auch um das wie, d.h. Standards und Bezahlbarkeit. Da der Markt nicht funktioniert, muss er reguliert werden und angesichts der Ausmaße des Marktversagens sogar ziemlich streng. Hier wird der erste Aufschrei kommen - aber wir regulieren ja sogar das Briefporto strengstens (wer schreibt eigentlich noch Briefe?), warum nicht so etwas Elementares wie Wohnraum?
Natürlich freut es jeden, mit einem Grundstücksverkauf ein schönes Geschäft zu machen. Warum sich als Vermieter nicht das Leben zusätzlich versüßen, wenn der Mietmarkt das hergibt? Doch wer bezahlt das? Die die müssen. Im Resultat ist es eine gigantische Vermögensverschiebung von unten nach oben.
Mietanpassungen werden häufig mit der Anpassung an den Mietspiegel begründet. Als ob der Mietspiegel eine neutrale Größe wäre. In Wirklichkeit ist er ein Ausdruck der Preistreiberei. Je weiter die Mieten nach oben gehen, desto mehr steigt der Mietspiegel. Wenn daraufhin Mieten an den gestiegenen Mietspiegel angepasst werden, steigt dieser weiter, darauf folgen Anpassungen usw. Hier fehlt ein dämpfendes und korrigierendes Element.
Schlimm ist, wenn sich auch die öffentliche Hand an der Preistreiberei beteiligt. In unserer Kommune wurden 2018 die Mieten der gemeindeeigenen Wohnungen um 7,5% erhöht, nachdem sie 3 Jahre zuvor um 20% erhöht wurden, jeweils als Anpassung an den Mietspiegel und deutlich über der Inflation. Dabei gab es keine Renovierungen und normale Reparaturen sind durch den Mietzins gedeckt. In den Wohnungen leben überwiegend Niedrigverdiener. Wer knapp über der Wohngeldgrenze liegt, dem tun 50 Euro mehr Miete pro Monat richtig weh.
Im Mittelalter galt das Prinzip des gerechten Preises und wir müssen irgendwie wieder dazu zurückkommen.
Für den Mietmarkt zeigt die Stadt Wien gerade, wie es geht:
Handwerker sind momentan auch Preistreiber - schwierig zu lösen. In anderen Berufen gibt es Gebührenordnungen, bei Ärzten ist diese aber z.B. schlecht gelöst. Das Problem wird sich lösen, sobald die Zinsen wieder steigen.
Ich muss gestehen, dass ich Scheu hatte, solch große Eingriffe in den Markt vorzuschlagen. Ich sehe aber keine andere Möglichkeit, das Grundrecht auf Wohnraum nachhaltig wieder auf gesunde Füße zu stellen, um den sozialen Frieden wiederherzustellen und eine stabile Gesellschaft zu erhalten.
Preise festzusetzen oder zu regulieren ist kein Sozialismus, wie manche meinen, denn niemand wird enteignet. Es gibt Regulierungen beim Briefporto, bei der Koppelung des Gaspreises an den Ölpreis, bei der Befreiung energieintensiver Industrien von der Ökostromumlage (die Anderen zahlen entsprechend mehr), etc. Es geht also hier nicht um sozialistische oder Markt-Ideologien, sondern um pure Vernunft, nämlich den Markt so zu korrigieren, dass er beim Grundrecht Wohnraum wieder funktioniert.
Der soziale Friede sollte uns das wert sein.
16.2.2019
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